Wenn eine Band wie Haken Visionen hat, dann sehen diese nicht aus wie bei anderen Menschen. Da gibt es keine ungenauen, verschwommenen Bilder. Nein, alles ist gestochen scharf und ausgearbeitet - nur die Aussage dahinter bleibt schwer zu erkennen. Das macht dem, der sich an dieses Album heranwagt, aber wahrscheinlich nicht viel aus. Der Progressive Rock/Metal-Hörer ist daran ja sowieso schon seit seinem ersten Kontakt mit diesem Stil gewöhnt.
Mit „Visions“ sollen eigentlich auch nur Menschen angesprochen werden, die diesem Genre offen gegenüber stehen und nicht bei der Erwähnung der Wörter „Dream Theater“, „Rush“ oder „Yes“ schreiend die Flucht ergreifen. Vor allem dem Sound von Dream Theater sind Haken doch sehr nahe, wobei sie ab und zu aber auch spielerisch und blitzschnell ganz anders - nämlich weich - klingen können, sodass sogar der Sunshine Prog von Spock’s Beard in einigen Momenten u.a. im Mittelteil von „The Mind’s Eye“ anklingt. Selbst diese Wechsel klingen durch die konstant gute Leistung von Ross Jennings am Mikrofon, der übrigens mit diesem sinnlosen Growlen aufgehört hat, nie zu gross und auch der Rest der Band ist mehr als je zuvor um Nachvollziehbarkeit bemüht. Das heisst nicht, dass es in irgendeinem der 8 Songs jemals Langeweile aufkommen würde. Auch wenn der Song und seine dynamische Entwicklung mehr als je zuvor im Vordergrund stehen bei Haken, muss niemand auf Duelle zwischen Gitarren und Keyboards auf höchstem musikalischem Niveau oder auf Einsprengsel aus Jazz oder Kirmes verzichten.
Aber instrumentales Gewichse geht halt nie über das Songwriting. Das fängt schon beim Opener „Premonition“ an, der sich aus einem Streicherquartett-Intro über einen spannenden Aufbau bis in ein Metalriff steigert um dann mithilfe von diversen Synhts in epische Höhen zu steigen nur um dann auf diversen Umwegen auf mehrfachen Solos auszuklingen. Dabei nimmt es kurzerhand auch noch Motive aus anderen Tracks des Albums voraus und das in nur 4 Minuten. Die kompletten 70 Minuten zu beschreiben, würde den Rahmen also mehrfach sprengen. Dazu ist das meiste auf VISIONS einfach zu episch – ob nun die 3-teilige Suite in der Mitte, die in 18 Minuten alles durchspielt, das Haken zwischen Metal, Jazz, Pop, Rock und klassisch eingesetzten Streichern heraufbeschwören können oder der Titelsong, der mit 23 Minuten ein Superlativ in Länge und in Qualität in der Geschichte dieser Band darstellt. Dabei stört nie eine Idee wirklich und selbst der 8-Bit-Einschub in „Insomnia“ unterbricht den unglaublichen Fluss nicht, der das Album von vorne bis hinten bestimmt.
Das ist zwar durchaus spannend, die Musik hat aber gegenüber früheren VÖs der Band, vor allem der Demos, an Unberechenbarkeit eingebüßt. Eigentlich stört das zwar nie, nachdem man das Album dann aber komplett gehört hat, fehlte dieser WTF-Moment, den die Londoner doch eigentlich so gut beherrschen. Wenn sie ihre unzähligen Fähigkeiten mal in einem Album unterbringen könnten, würde es ein absolutes Meisterwerk sein. So ist Visions einfach nur verdammt gut.
8/10 Punkte
erstellt von Leon.
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