Montag, 25. Juli 2011

Casper - XOXO (Review)

Nach K.I.Z. und Marteria ist Casper der nächste Rap-Act, der nicht nur von den Hip-Hop-Medien, sondern auch von großen Teilen der restlichen Presse reichlich (Vorschuss)lorbeeren kassiert. Wahlweise wird ihm dann die Rolle des Retters des Deutschraps oder der Part des intelligenten Gegenentwurfs zum derzeit in Deutschland vorherrschenden Gangster-Rap zugeschoben. Jedoch bleibt fest zu stellen, dass er weder eins von beiden ist, noch sein möchte. Nichts desto trotz betritt er mit "XOXO" für Deutschrap komplett neue musikalische Gebiete, was dazu führte, dass man in der stets hype-geilen Blogosphäre nun mit "Post-Hop" bereits schon wieder einen neuen Genre-Begriff aus dem Hut gezaubert hat.

Sicherlich sind die Instrumentals alles andere als normale Durchschnitts-Hip-Hop-Produktionen und auch Stimme, Flow und Themenauswahl des Neuberliners stechen aus der grauen Masse heraus, doch trotzdem kann man hier immer noch von Rap sprechen bzw. schreiben, wenn auch einem, bei dem definitiv neue Wege beschritten werden. Der erste Beleg dafür findet sich schon zu Beginn. "Der Druck steigt" basiert weder auf einem klassschen Boom Bap- noch einem moderneren Synthiebeat, sondern auf einer großartigen Post-Rock-Produktion, die sich perfekt mit dem ebenfalls großartigen Text zusammenfügt. Auch wenn die Lyrics keines Falls durchschnittlich sind, die Themen sind Klassiker. Was im Opener mit der Beschreibung der Situation der Jugend und dem Aufruf dazu, dem sich steigenden Druck freien Lauf zu lassen, beginnt, wird in nachfolgenden Songs durch Herzschmerz, Hilflosigkeit, Absturz und Eskapaden, ergänzt. Dinge die Jugend vieler häufig geprägt hat. So wird auch wieder der Unterschied zwischen Casper und der restlichen Rapszene deutlich, denn während der ein Großteil des Rests Crew- und Ghettorepresentation, Punchlines, überspitzte (fiktive) Storys oder Einblicke in den (angeblichen) persönlichen Reichtum serviert, liefert Casper persönliche Texte, die aber gleichzeitig auch als Beispiel für viele andere Existenzen taugen und allgemeingültige Probleme aufzeigen, sodass den Lyrics hohes Identifikationspotezial inne liegt.

Wenn man allerdings über Konflikte in Liebe und Jugend rappt, besteht die Gefahr des Kitsches natürlich besonders stark. Im Gegensatz zu vielen anderen MCs umkurvt er diese allerdings geschickt und tritt nur selten in Fettnäpfchen, indem er Standartzeilen vorträgt. Zudem trägt seine raue Stimme dazu bei, dass er trotz der Thematik nie in den nervigen Bereich der "Rumheulerei" gelangt. Letzter wichtiger Punkt im Bezug auf die lyrische Seite der Platte ist das Verzichten auf ein allgemein gängiges Storytelling, stattdessen bestehen die Raps meist aus assoziativen Sprachbildern, die auch nie versteift daherkommen und dem Hörer Platz lassen für eigene Interpretationen und das Entstehen zahlreicher geistiger Bilder.

Abseits der Raps und Texte bietet das Album aber auch musikalisch einiges. Wie vorhin erwähnt spielt Post-Rock eine große Rolle, aber auch Dubstep und Indierock dienen als Vorlagen für Instrumentals und auch das Klavier wird immer wieder hervorragend in die Tracks integriert.

Auch wenn "XOXO" als stimmungsvolles Ganzes überzeugt, so lassen sich einige Highlights nennen. Besonders das kraftvolle und leicht episch anmutende "Der Druck steigt" bleibt im Gedächtnis, ebenso die sehr berührenden und persönlichen "Kontrolle / Schlaf" und "Michael X", wobei sich letzterem um einen verstorbenen Freund Caspers dreht. Der denkwürdigste Moment des Albums ist aber eindeutig "Auf und davon". Ein erneut von Post-Rock geprägtes kraftvolles Instrumental auf dem Casper den Ausstieg aus der Monotonie des grauen Alltags thematisiert. Großartige sprachliche Bilder kombiniert mit einem tollen How to Dress Well-Sample.

Nach all dem Lob müssen natürlich auch die Negativpunkte genannt werden, wobei dies recht schnell erledigt sind. Neben den vorhin erwähnten sehr seltenen leicht kitschigen Stellen, sind es neben manchen Songelementen wie z.B. dem Text des Refrain im Titeltrack (übrigens von Tomte Frontmann Thees Uhlmann vorgetragen), nur 2 Songs, die für mich eher wie Filler anmuten, namentlich "Alaska" und "230409", die den Gesamteindruck etwas schwächen. Trotzdem ist „XOXO“ ein hervorragende, berührende Platte, die zeigt, was noch alles in Sachen (Deutsch-)Rap möglich ist und auch noch das Potenzial zum Wachsen hat, so dass die reichlichen Vorschusslorbeeren seitens Presse und Öffentlichkeit definitiv gerechtfertigt waren.

8/10 Punkte




erstellt von Markus.

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